In den USA wird die sogenannte Präexpositionsprophylaxe (PreP) in sogenannten Risikogruppen bereits seit 2012 angewendet. Neu hinzu kommt auch das Treatment as Prevention (TasP). Wir sprachen mit Dr. Heiko Jessen von der Berliner Schwerpunkt- und akademischen Lehrpraxis der Charité Jessen2 über Chancen und Risiken dieser Präventionsmethoden.
HERR DR. JESSEN. BITTE ERKLÄREN SIE DOCH EINMAL KURZ, WAS SICH HINTER DER PREP VERBIRGT.
Das ist ein wenig vergleichbar mit der Anti-Baby-Pille. Anstatt Kondom wird ein Medikament zur Verhütung in diesem Falle einer HIV-Infektion eingenommen.
UND WAS IST TASP?
Hier unterscheidet man zwischen zwei Ebenen. Auf der Individualebene entscheidet sich zum Beispiel ein HIV-Positiver seinen HIV-negativen Partner dadurch zu schützen, dass er Medikamente nimmt, ohne dass ein medizinischer Grund gegeben wäre. Auf der gesundheitspolitischen Ebene hier versuchen die USA sich bedeutet die TasP, dass ich eine möglichst große Anzahl der Menschen, im Idealfall alle, behandle, um Neuansteckungen zu verhindern, dass heißt, die Epidemie einzudämmen.
WO LIEGT DENN DANN DER UNTERSCHIED ZUR PRÄVENTION DURCH THERAPIE, DIE GERADE ERST VON DER AIDSHILFE IN DEN KATALOG DER MAßNAHMEN AUFGENOMMEN WURDE?
Die Aidshilfen in Deutschland verfolgen TasP auf der Individualebene. Gegen eine flächendeckende TasP spricht ja auch, dass diese nur funktioniert, wenn alle getestet sind es müsste quasi die Gesamtbevölkerung zum HIV-Test gezwungen werden. Dies ist gesundheitspolitisch sicher nicht durchsetzbar und auch wahrscheinlich nicht erfolgsversprechend, weil gerade die Frischinfizierten laut Studien wohl für einen großen Teil der Neuinfektionen verantwortlich sind also die Zeit zwischen Infektion und Test nur kurz sein darf, um mit der flächendeckenden TasP erfolgreich zu sein. Ich selber bin kein Gesundheitspolitiker und habe in meiner Praxis logischerweise nur mit individuellen Fällen zu tun. Da wiederum ist TasP eine anerkannte und legitime Form der Therapie.
DENNOCH GIBT ES JA AUCH BEI DER INDIVIDUELLEN TASP RISIKEN. SO DARF KEINE ANDERE SEXUELL ÜBERTRAGBARE KRANKHEIT (STI) VORHANDEN SEIN ...
Ja, und das ist mir ein wichtiges Anliegen. Der Bereich HIV- und anderer STI-Prävention ist in der Krankenkassenmedizin nicht vorgesehen. Es gilt da leider fast durchweg: Erst zum Arzt, wenns brennt und juckt. 30 bis 50 Prozent der STIs zum Beispiel im Analbereich sind aber ohne Symptome, werden also vom Patienten gar nicht wahrgenommen und weitergetragen. Das wäre mein Aufruf an die Gesundheitspolitik, hier Präventionsprogramme über die Kassen anzustoßen und zu finanzieren.
WIE WIRKSAM IST DENN DIE PREP?
Es gibt sechs Wirksamkeitsstudien, von denen zwei keine Wirksamkeit nachwiesen. Die größte Studie mit Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), die IPREX kam auf eine Wirksamkeit von 44 Prozent.
ABER STEIGEND MIT DER ADHÄRENZ (THERAPIETREUE) ...
Genau. Das ist eigentlich das Fazit: Wenn man es schafft, die Tabletten nach Plan einzunehmen, dann funktioniert die PreP.
ABER IST ES SINNVOLL, SEIN LEBEN LANG TEURE UND MIT NEBENWIRKUNGEN BELASTETE PILLEN ZU NEHMEN, UM KEINE PILLEN NEHMEN ZU MÜSSEN SALOPP GESAGT BEZIEHUNGSWEISE EIN ODER ZWEI MAL IM JAHR AUF EINER SEXPARTY RISIKEN EINGEHEN ZU KÖNNEN?
Eine europäische Studie (IPERGAY) dazu beginnt gerade in Frankreich und wir werden wohl ab dem Frühjahr 2014 als Praxis teilnehmen. Hier geht es nicht um die tägliche PreP (wie sie mit Truvada in den USA propagiert wird), sondern um die PreP bei Bedarf in der Szene Preping genannt. Also einen Tag vor dem Sex und einen Tag nach dem Sex. Die Nebenwirkungen sind bei den aktuellen Medikamenten in der Regel nicht massiv, auch scheinen nicht mehr Resistenzen aufzutreten es sollten regelmäßig die Nierenwerte kontrolliert werden.
WIE IST ES MIT DEN KOSTEN?
Es ist illusorisch zu denken, dass die PreP hier wie in den USA von den Kassen übernommen werden würde. Das wird wie bei Viagra oder Propecia als Lifestyle-Medikament privat zu zahlen sein. Prinzipiell muss hier die Politik umdenken, denn vorhandene Gelder für die Prävention gehen zu einem überdurchschnittlichen Teil in heterosexuelle Prävention, also gerade nicht dahin, wo sie Kosten für den Gesundheitssektor massiv einsparen könnten bei den Männern, die Sex mit Männern haben. Anders gesagt: Eine PreP für Heterosexuelle ist wegen des kleineren Infektionsrisikos weniger kosteneffektiv, als eine PreP für MSM die häufig Sexpartys besuchen oder gerne von schwulen Sexdatingplattformen gebrauch machen.
Interview: Christian Knuth
Die Gebrüder Dr. med Arne & Heiko Jessen in der Bibliothek ihrer Schwerpunktpraxis Jessen2. Im Bereich HIV führen sie unter anderem klinische Studien durch, in denen die Wirksamkeit und Verträglichkeit von neuen Medikamenten oder neuen Therapie-Kombinationen geprüft wird.
Internet: WWW.PRAXIS-JESSEN.DE