Krise in Karibikstaat: Warum in Haiti die Gewalt eskaliert (2024)

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Krise in Karibikstaat: Warum in Haiti die Gewalt eskaliert (1)

In Haiti ist die öffentliche Ordnung weitgehend zusammengebrochen, bewaffnete Banden kontrollieren den größten Teil der Hauptstadt Port-au-Prince sowie Straßen im Rest des Landes. Seit Tagen greifen sie Polizeistationen, Gefängnisse und Gerichte an. Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht, es gibt Berichte über Leichen auf offener Straße. Wie konnte es so weit kommen?

Wie ist die aktuelle Situation?

Durch die Gewalt in Haiti sind nach Schätzung der Vereinten Nationen Tausende Menschen gestorben. Die »Washington Post« berichtete von Leichen auf offener Straße, die wegen der Sicherheitslage nicht bestattet werden konnten und stattdessen verbrannt wurden.

Schätzungen zufolge sind in den vergangenen Tagen rund 15.000 Menschen obdachlos geworden, nachdem ihre Viertel von Banden geplündert und zerstört wurden. Die Bewohner von Port-au-Prince lebten »eingesperrt«, die Stadt sei »von bewaffneten Gruppen und Gefahren umzingelt«, hieß es von Philippe Branchat, Leiter des Haiti-Büros der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Mehr als 360.000 Menschen sind inzwischen nach IOM-Angaben innerhalb Haitis vor der Gewalt geflohen.

Krise in Karibikstaat: Warum in Haiti die Gewalt eskaliert (2)

Laut Uno hat mehr als die Hälfte der rund elf Millionen Einwohner des Landes nicht genug zu essen, 1,4 Millionen Menschen hungern. Die Vorräte an Wasser und Lebensmitteln schwinden. Der Haupthafen von Port-au-Prince ist geschlossen, Container mit dringend benötigten Gütern stecken fest. Beide internationalen Flughäfen in Haiti sind wegen der Gewalt geschlossen.

Auch die Gesundheitsversorgung ist der Organisation zufolge stark beeinträchtigt. Mehrere Krankenhäuser seien von Banden angegriffen worden, ärztliches Personal und Patienten hätten Kliniken verlassen müssen – unter ihnen Neugeborene. Mehrere Vertreter von Uno-Organisationen in Haiti warnten in einer gemeinsamen Erklärung davor, dass 3000 Schwangere möglicherweise vom Zugang zu medizinischer Versorgung abgeschnitten seien. 450 von ihnen drohten ohne ärztliche Hilfe »tödliche Komplikationen«.

Was sind die Hintergründe der Gewaltwelle?

Haiti steckt seit Jahren in einer schweren Krise, zu der neben Bandengewalt auch politische Instabilität und wirtschaftliche Not gehören. Im Sommer 2021 ermordete ein Killerkommando Jovenel Moïse, den letzten gewählten Präsidenten Haitis. Seitdem wurden keine Wahlen abgehalten, Haiti hat derzeit weder einen Präsidenten noch ein Parlament. Bewaffnete Banden sind seitdem ein immer größerer Machtfaktor im Land.

Seit Moïses Ermordung regiert offiziell Ariel Henry. Eigentlich hätte der Premierminister Anfang Februar aus dem Amt scheiden sollen. Henry verständigte sich stattdessen Ende Februar mit der Opposition darauf, bis zur Abhaltung von Neuwahlen »innerhalb von zwölf Monaten« gemeinsam zu regieren.

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Seitdem spitzt sich die Situation zu. Die Banden forderten Henry zum Rücktritt auf, während sich dieser auf einer Auslandsreise in Kenia befand – um dort ein Abkommen für die Entsendung einer Eingreiftruppe zu unterzeichnen , mit der Haiti die Bandenkriege unter Kontrolle bekommen will.

Zwei der wichtigsten bewaffneten Gruppen des Landes haben sich nun zusammengeschlossen. Ihr Anführer, der Ex-Polizist Jimmy Chérizier alias »Barbecue«, drohte mit Bürgerkrieg, sollte Henry nicht zurücktreten. Und setzte die Drohung sogleich in die Tat um: Unter anderem befreiten die Banden mehr als 4500 Häftlinge aus zwei Gefängnissen. Seitdem marodieren sie durch weite Teile des Landes.

Bislang ist Henry nicht nach Haiti zurückgekehrt. Am vergangenen Dienstag reiste er nach Puerto Rico, nachdem ihm die Dominikanische Republik keine Landeerlaubnis erteilt hatte. Luis Abinader, Präsident der Dominikanischen Republik, hatte Henry zur unerwünschten Person erklärt. Henry sei aus Sicherheitsgründen nicht willkommen. Die Krise in Haiti stelle auch eine direkte Bedrohung der Stabilität und Sicherheit der Dominikanischen Republik dar. Die Länder liegen auf der Insel Hispaniola.

Wie reagiert die internationale Gemeinschaft?

Zahlreiche Staaten und Institutionen zeigen sich schockiert. Die EU zog ihr gesamtes diplomatisches Personal aus Haiti ab. Laut einem Sprecher wurde es an einen sichereren Ort außerhalb des Landes gebracht. Er begründete den Schritt mit der »dramatischen Verschlechterung der Sicherheitslage«. Zuvor hatte bereits das Auswärtige Amt mitgeteilt, der deutsche Botschafter und der Ständige Vertreter hätten Haiti verlassen. Das US-Militär flog am Wochenende nicht essenzielle Mitarbeiter der US-Botschaft aus und verstärkte dort die Sicherheitsvorkehrungen.

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Noch am Montag wollen sich Gesandte verschiedener Staaten und der Vereinten Nationen in Jamaika treffen, um über die Krise zu beraten. Auch US-Außenminister Antony Blinken wollte an dem Treffen teilnehmen. Bei den Beratungen soll ein Vorschlag diskutiert werden, wie ein politischer Übergang in Haiti beschleunigt werden kann, hieß es aus dem US-Außenministerium.

Gibt es einen Plan, um die Gewalt zu beenden?

Bei dem Treffen soll unter anderem über die Entsendung einer multinationalen Sicherheitsmission gesprochen werden. Diese hatte der Uno-Sicherheitsrat eigentlich bereits im Oktober genehmigt und vor diesem Hintergrund fand Henrys Besuch in Kenia statt. Das ostafrikanische Land soll die Mission durch die Entsendung von Polizeikräften anführen. Unter anderem wegen Problemen bei der Finanzierung und eines kenianischen Gerichtsurteils kam diese bislang nicht zustande.

»Im schlechtesten Fall eine Suizidmission, im besten Fall Geldverschwendung«

Daniel Foote, früherer US-Sondergesandter, über die geplante Entsendung kenianischer Sicherheitskräfte

Der Plan sieht vor, 2000 kenianische Sicherheitskräfte zu entsenden. Es gibt allerdings Zweifel, ob diese Anzahl ausreicht. 2000 Kräfte seien »im schlechtesten Fall eine Suizidmission, im besten Fall Geldverschwendung«, sagte Daniel Foote, einst US-Sondergesandter in Haiti, laut »Guardian«.

Die Sicherheitslage habe sich so verschlechtert, dass eine größere Mission notwendig sei. Man benötige zwischen 5000 und 10.000 Polizisten, angeführt von einer größeren Wirtschaftsmacht, die Erfahrung darin habe, Polizeistrukturen aufzubauen. Er nannte die USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich oder ein anderes EU-Land als Beispiele.

Der Intensivmediziner Tankred Stöbe, der für die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen vor Ort war, verwies zudem im SPIEGEL-Interview auf Bedenken von Beobachtern: Viele Experten sorgten sich, weil sich die kenianische Eingreiftruppe nicht auskenne in Haiti und die Sprache nicht spreche.

sol/ulz/dpa/AFP/AP/Reuters

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